Die „ältesten BesetzerInnen der Welt“

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Im Sommer 2012 hatten SeniorInnen ihre von der Schließung bedrohte Begegnungsstätte in Pankow besetzt. Die Kerngruppe der BesetzerInnen aus 5 Frauen und einem Mann harrte 112 Tage und Nächte in ihrem Haus in der Stillen Straße aus, um den Verkauf der im Landesbesitz befindlichen Immobilie zu verhindern. Die Besetzung erregte schnell internationale Aufmerksamkeit, löste eine breite Welle der Solidarität aus und führte zu einer dreijährigen Verlängerung der Nutzung des bereits abgeschriebnen sozialen Treffpunktes. Das Haus wird seither mit Unterstützung der Volkssolidarität in Selbstorganisation verwaltet.

Im Rahmen des Residency-Projektes zum Thema „Gemeingüter“ hat die Nachbarschaftsakademie zusammen mit Paula Z. Segal (596 Acres, New York), Anna Heilgemeir und Enrico Schönberg die kämpferischen SeniorInnen besucht, um sich mit Ihnen über die Erfahrungen im Kampf für den Erhalt sozialer Einrichtungen auszutauschen.

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Sie seien Stolz auf das, was sie erreicht hätten und auf jeden einzelnen Tag, den sie der politischen Absicht zur Schließung ihres über 20 Jahre bestehenden Begegnungszentrums  abgerungen haben. „Brave Bürger“, die sie zeitlebens waren, hätten Sie von sich selbst am wenigsten geglaubt, noch einmal zu BesetzerInnen zu werden. Ältere Menschen seien ja nicht bekannt für Widerstand und Aufmüpfigkeit. Doch das „Revolution machen“ mit friedlichen Mitteln sei auch „im hohen Alter noch erlernbar“. Stadtpolitsch engagierte Menschen, darunter auch Enrico Schönberg, hätten sie als eine Art Mentoren unterstützt und ihnen „das Laufen gelernt“, sprich: das Anfertigen von Plakaten, organisieren von Lärmdemonstrationen, die Öffentlichkeitsarbeit und das Starten einer Online-Petition, die am Ende von über 10.000 Menschen unterstützt wurde.

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Der Wille, „sich nicht unterkriegen zu lassen“ und die Kraft, die aus ihm erwachse, hätte nicht nur den Verkauf des Hauses verhindert, sondern ihr Leben um völlig neue Erfahrungen bereichert. Sie, die noch niemals vor einem Mikrophon standen, seien von Reportern aus der ganzen Welt belagert worden. Tausende Menschen sind in die Stille Straße gekommen, um ihre Solidarität auszudrücken und sich im Gästebuch zu verewigen;  hier finden sich Solidaritätsadressen von 1800 AnwohnerInnen, stadtpolitischen Initiativen, Prominenten und von weither angereisten Neugierigen. Eine Gruppe ältere Menschen, die sich zur selben Zeit in Madrid gegen Zwangsräumungen einsetzte, hätten ihre in Berlin lebenden Enkel in die Stille Straße geschickt, um für die BesetzerInnen zu kochen. Der Entschluss zu einer drastischen Maßnahme wie einer Besetzung hätte ihr Leben noch einmal „umgekrempelt“ und Türen zu neuen Erfahrungen und Erkenntnissen aufgestoßen. Kürzlich hat die Gruppe eine Nachbarschaft im Londoner Eastend besucht, in der die BewohnerInnen ihre vom Abriss bedrohten Häuser in Form einer Genossenschaft übernommen und aus einem ehemaligen Schrottplatz einen Gemeinschaftsgarten gemacht haben.

Die SeniorInnen erinnerten sich, wie sie noch während der Besetzung in den Medien von der Kampagne zum Erhalt des Prinzessinnengartens erfuhren und sofort Parallelen gezogen hätten: Wie der Garten so sollte auch ihr Freiraum vom Liegenschaftsfonds meistbietend verkauft werden. Ihre Schlußfolgerung: „Erfolge müssen hart erkämpft werden. Man zwingt ja die Politik etwas zu tun, was sie nicht tun wollte.“  Die SeniorInnen hatten zunächst keinerlei politische Unterstützung für ihre Sache, im Gegenteil: Telefon und Heizung wurden ihnen zeitweise abgedreht, einzelne Räume wurden über Nacht unzugänglich gemacht. Auf öffentlichen Veranstaltungen hätte man eher über als mit ihnen gesprochen. Doch der erfolgreiche Kampf war nur eine Etappe. Derzeit will der Bund 17 Grunstücke in ihrer Nachbarschaft, der ehemaligen Wohngegend zahlreicher DDR-Regierungsmitglieder, höchstbietend privatisieren. Entgegen der Privatisierungpolitik des Bundes und der Stadt Berlin ist ihre Forderung „Die Bodenrente gehört der Gesellschaft“.

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Wie im Fall des  Prinzessinnengartens hat auch in der Stillen Straße der Protest und die Mobilisierung zunächst nur eine vorübergehende Lösung gebracht. Der Mietvertrag der SeniorInnen läuft am 31. Dezember diesen Jahres aus, die Zukunft bleibt ungewiss. Solche allen zugänglichen „Gemeingüter“ sollten aber dauerhaft erhalten werden. Der Wunsch der kämpferischen SeniorInnen: das, was sie erkämpft und selbstverwaltet an kulturellen und sozialen Funktionen aufgebaut haben, an den „Nachwuchs“ weiterzugeben: „Wir haben es gerettet für Euch, nun führt es weiter!“