Urbane Gärten und (Stadt-)Politik

1206freitag_kl

Bild aus dem Freitag, 05/2012

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wie politisch sind urbane Gärten und welche Rolle spielen sie in den gegenwärtigen Diskussionen zu einem „Recht auf Stadt“? Diese Frage wurden in den letzten Wochen und Monaten in Zeitungbeiträgen und Publikationen, sowie im Urban Gardening Manifest widerholt formuliert:

Mark Terkessidis beschreibt in seinem Buch Kollaboration (Suhrkamp 2015) anhand von Beispielen aus Keuzberg wie dem Mediaspree-Projekt, dem Flüchtlingscamp am Oranienplatz, Cuvry-Brache und Görlitzer Park Konflikte zwischen einer weltabgewandten Bürokratie, architektonischen Leuchttürmen und der Jagd nach Investoren auf der einen, Menschen und Initiativen auf der anderen Seite. Selbst aus Sicht einer ökonomischen Standortpolitik würden Planungen oft keinen Sinn machen, da es gerade die “kulturelle Vielfalt und Unvollkommenheit” Berlins sei, die so viele Menschen nach Berlin zieht.

“Je homogener die Stadt in Zukunft wird, desto weniger wird sie für Besucher noch von Interesse sein. Ein ähnliches Unverständnis zeigt sich im Umgang mit den Prinzessinnengärten am Moritzplatz in Kreuzberg (…) Die Gärten ziehen Personen aus aller Welt an, die sich über die Arbeitsweise der Macher informieren möchten. Dennoch wollte der Senat das Gelände 2012 verkaufen. Diese Entscheidung wurde nach einer diesmal weltweiten Protestwelle revidiert, aber der endgültige Ausgang bleibt ungewiss.”

In seinem Buch Das Urbane. Wohnen. Leben: Produzieren (jovis 2014) interpretiert der Musiker und Stadttheoretiker Christopher Dell die „Auseinandersetzung um ‚Stuttgart 21‘, die Gentrifizierungsdebatte, die Recht-auf-Stadt-Bewegung, Zwischennutzungen wie die ‘Prinzessinnengärten’ in Berlin, die Diskussion um die Commons “ als eine Manifestations des „Wille(ns) der Menschen, mehr zu sein als nur bloße Agenten einer kommerziellen Wohnapparatur Stadt.“

Christopher Dell hat am 6.8. im Rahmen der Nachbarschaftsakademie zum Thema Urbaner Aktivismus und Stadtplanung gesprochen

Ein neues Politikverständnis, das sich vor allem im Lokalen  Engagement für sozial-ökologische Fragen ausdrückt,  beobachtet auch die ZEIT mit Bezug auf die Studie “Progressive Politik in pragmatischen Zeiten: Politische Narrative gesellschaftlichen Wandels“:

“Eine Vielzahl von Bürgern ist engagiert, aber meist in lokalen, kleinen Projekten. Dem pragmatischen Regierungsstil der Kanzlerin sei eine Generation gefolgt, die sich in realistischer Weise für kleine Ziele stark mache. Sie kämpfe nicht für eine neue Gesellschaft, setze sich aber für gemeinwohlorientierte Projekte ein. Auffällig ist, dass viele ihr eigenes Engagement zwar als progressiv empfinden, es aber defensiv betreiben: Sie wollen weniger Auto fahren, weniger Müll produzieren, weniger konsumieren, weniger arbeiten … Ein Kernbereich, in dem für einen gesellschaftlichen Wandel gekämpft wird, lässt sich unter dem Begriff “Rückeroberung des Stadtraums” zusammenfassen. Projekte wie Recht auf Stadt, Stadt von Unten, Hack your City, Reclaiming the City sowie diverse Urban-Gardening-Initiativen und Spielstraßen sind Beispiele dafür.”

Was in der Politik fehle, sei “eine sozial-ökologische ‘Veränderungserzählung’, die Ausstrahlung entwickelt und den Wandel mit Zuversicht und Verheißung verbindet”. Ein ersten Schritt in diese Richtung haben bereits die mehr als 120 Initiativen gemacht, die das Manifest Die Stadt ist unser Garten unterzeichnet haben. Darin heisst es:

In vielen Städten entstehen seit einigen Jahren neue, gemeinschaftliche Gartenformen. Diese urbanen Gemeinschaftsgärten sind Experimentierräume für ein gutes Leben in der Stadt. Gemeinsam verwandeln wir Stadtgärtner*innen Brachflächen in Orte der Begegnung, gewinnen eigenes Saatgut, halten Bienen zwischen und auf Hochhäusern, experimentieren mit verschiedenen Formen der Kompostierung und üben uns darin, das geerntete Gemüse haltbar zu machen. Wir setzen uns für eine lebenswerte Stadt und eine zukunftsorientierte Urbanität ein. Täglich erfahren wir, wie wichtig ein frei zugänglicher öffentlicher Raum ohne Konsumzwang für eine demokratische und plurale Stadtgesellschaft ist.

 

„Urban-Gardening“: Zurück zur Natur!, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 01. August 2015

„Viele Menschen zieht es wieder hinaus ins Grüne. Und wer keinen sonderlich grünen Daumen hat, kann seine karge Ernte immerhin noch mit politischen Überzeugungen garnieren.“ Severin Halder vom Allmende-Kontor sagt der FAZ, natürlich würden ihn seine Beete nicht ernähren, und sie seien auch nicht die Revolution „Doch sei der Gemeinschaftsgarten ein „politisches Werkzeug zur Demokratisierung der Naturverhältnisse“. Eine „Kampfansage gegen die Konsummentalität“ nennt er es. Halder fordert Gärten für alle. „Reiche Leute haben einen Garten vor der Haustür, ärmere Menschen leben in der Einflugschneise oder an der Autobahn.“

 Das Bild ist der Titel des Freitags vom 31.05.2012 mit einem Beitrag von Christa Müller (anstiftung) zur „Grünen Guerilla