Hitzefrei und einen Toast auf all die Spinner, die seit 100 Jahren unser Grün verteidigen!

Eine Glosse von Marco Clausen

An alle da draussen, die zur Abkühlung in die Krumme Lanke springen, im Gleisdreieck-Park skaten, im Mauerpark singen, im Görli einen durchziehen, sich am Teufelssee nackig machen, im Grunewald durchatmen, mit ihren Kindern die Schweine füttern gehen, im Sonnenuntergang des Tempelhofer Feld ein Alster trinken oder Gemüse ziehen, im Prinzessinnengarten die Gartenpizza essen. Wenn ihr nicht eh schon liegt, dann haltet einen Moment inne. Nichts davon kam als Geschenk. Grün in dieser Stadt musste schon immer gegen Spekulation und Bebauung verteidigt und der Politik abgerungen werden. An jedem Tag über 30 Grad sollten wir Hitzefrei kriegen und ein Lied anstimmen auf all jene, die – teils über Jahrzehnte, teils in erbitterten Auseinandersetzungen – Petitionen geschrieben, Proteste organisiert, politischen Druck ausgeübt haben, damit die Bäume nicht gefällt, die Wiesen nicht zubetoniert, die sogenannten „Brachen“ nicht bebaut werden. Auch jene sollten wir in unsere Danksagung einbeziehen, die gleich selbst angefangen haben, die Stadt zu begrünen.

Am Gleisdreieck verhinderten Anwohnerbewegungen bereits in den 70er Jahren eine geplante Autobahn und legten damit die Saat für die spätere Parkgestaltung.
Das Gelände des Görlitzer Bahnhofs wurde nach der Teilung Berlins als Schrottplatz genutzt. Auch hier waren es die Planung von Unten (Strategien für Kreuzberg) und die Bürger- und Hausbesetzerbewegungen, die Forderung nach neuen Beteiligungsformen und einem Park in den Raum stellten.
Sowohl der Kinderbauernhof im Görlitzer Park wie auch der in der Adalbertstraße gingen auf eine Aneignung durch die BewohnerInnen zurück. In der Adalbertstraße fing eine Mutter-Kind-Gruppe 1981 an, das Trümmergrundstück im Niemandsland an er Mauer zu entmüllen und zu begrünen.
Auch beim Tempelhofer Feld kam der Impuls von der Straße. Nachdem der Flugbetrieb eingestellt und die Pläne zur Bebauung bekannt wurden, versammelten sich am 20.09.2009 tausende Aktivisten, um den Zaun zu überwinden. Der Zaun blieb an jenem Tag zunächst noch stehen, auch durch den massiven Polizeischutz, aber der Ruf nach Freiheit für das Feld liess sich nicht mehr stumm stellen. Der politische Druck führte zunächst dazu, dass das 380 Hektar große Feld für alle geöffnet wurde und 2014 dann zu dem Volksentscheid, in dem sich 64,3% der abstimmenden BerlinerInnen (739.124 Stimmen) für 100% Wiesenmeer aussprachen.
Im Berliner Heft zum Mauerpark gibt es ein Bild von 1990 auf dem Hunderte BerlinerInnen den ehemaligen Grenzstreifen bepflanzen.
Den wenigsten dürfte bekannt sein, dass es auch den Grunewald nicht gäbe ohne die erste Berliner Umweltbewegung. Die Spekulation auf Boden und das Wachstum der Stadt (Berlin hatte 1920 mehr BewohnerInnen als heute) drohten Anfang des 20 Jahrhunderts die Waldbestände in und um Berlin vollständig zu zerstören. Bereits 1904 wurden 30.000 Unterschriften gegen die Vernichtung des Waldes gesammelt, Medienkampagnen und Protestaktion organisiert. Sowohl die wichtige Funktion des Waldes für Klima und Wasserversorgung der Millionenstadt sowie „der Wert für die gesundheitlichen Verhältnisse und für das Seelen- und Gemütsleben der Menschen“ sollten gesichert werden. Der Widerstand der Bevölkerung führte im März 1915 zur Unterzeichnung des sogenannten Dauerwaldvertrag, in dem sichergestellt wurde, dass die Berliner Waldflächen nicht bebaut werden können. Ohne diesen Vertrag würden heute vermutlich um die Ufer des Wannsees keine Bäume, sondern Luxusvillen spriessen. Stattdessen ist Berlin mit 29.000 Hektar die europäische Millionenstadt mit der größten Waldfläche.
Auch über den Prinzessinnengarten am Moritzplatz würden sich heute die Autolawinen wälzen, hätte sich nicht Ende der 70er Jahre ein breite Allianz aus AnwohnerInnen, HausbesetzerInnen, PlanerInnen und zivilgesellschaftlichen Akteuren gefunden, um sich gegen die berüchtigten „Kahlschlagsanierung“ zur Wehr zu setzen und dabei auch die geplante mehrspurige Autobahn durch die Oranienstraße verhindert.
Ein Toast also auf alle die grünen Spinner
Und ein ps an die Freunde- und Freundinnen der Berliner Gartenbewegung. Auch wir brauchen an Stelle prekärer Zwischennutzungen endlich einen Berliner Dauergartenvertrag, der – wie wir es im Urban Gardening Manifest gefordert haben – den sozialen und ökologischen Wert der Gärten in der Stadt anerkennt und sicherstellt, dass die „Gärten dauerhaft Wurzeln schlagen“. Lass uns darüber reden beim „GROW together“ am Sonntag im Allmende-Kontor. Unser Dank gilt insbesondere Gerda Münich, der „Mutter der Berliner Interkulturellen und Gemeinschaftsgärten“. Ihr zu Ehren wird beim GROW together die Tanzlinde auf dem Tempelhofer Feld eingeweiht und Ihre Lebensaufgabe, „Ganz Berlin ein Garten“ über die Grenzen der Generationen und der Herkunft hinweg, muss auch weiter unser Ziel sein.