Winterthur Urban Forum

winterthur urban forum

Auf Einladung der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften haben wir am Winterthur Urban Forum mit einem Vortrag zur Bedeutung urbaner Gärten für eine partizipative und resiliente Stadtentwicklung teilgenommen. Dabei haben wir versucht sowohl die Potentiale von urbanen Gärten und ähnlichen sozialen und ökologischen Freiräume für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung deutlich zu machen, aber auch auf die schwierige Rahmenbedingungen hingewiesen, wie etwa die zunehmende Privatisierung öffentlichen Eigentums, die sinkende Gestaltungsfähigkeit von Kommunen oder die ungleiche Flächenkonkurrenz von sozialen, ökologischen und Bildungsprojekten mit einem zunehmend global ausgerichteter Grundstücksmarkt. Die im Beitrag vertretene These war, dass es in den Städten eine Art „Freihandelszonen“ geben müsste, in denen unter teilweiser Aussetzung der bestehenden Reglementierungen und Marktlogiken mit lokalen Antworten auf globale Herausforderungen experimentiert werden kann. Vor diesem Hinergrund lässt sich vielleicht auch das Berlins der letzten Jahrzehnten mit seinen zahlreichen Zwischennutzungen und Aneignungen urbanen Raums in Teilen als die Geschichte einer solchen ungeplanten Freihandelszone verstehen. Heute, angesichts des zunehmenden Drucks auf Flächen und steigender Wohn- und Gewerbemieten ist für viele Akteure fraglich, ob die Bedingungen für solche Freiräume in Zukunft noch in gleichem Maße gegeben sein werden. (mehr zu Beiträgen von Saskia Sassen und Harald Welzer siehe unten)

Auf dem Forum hat Harald Welzer (Futur2) in seinem Beitrag zum „Eigensinn“ von Städten die erstaunliche Fähigkeit von Städten herausgehoben, auf Krisen reagieren zu können und damit erstaunlich langlebige Formen menschlichen Zusammenlebens zu etablieren. Gerade die in den Frei- und Zwischenräumen von Städten selbstorganisierten, nicht geplanten oder von Experten von aussen implementierten Sozialformen seien es, die diese Anpassungsfähigkeit begründen. Planer sollten sich daher eher als Laien verstehen und die BewohnerInnen als Experten, um diesen Formen der Selbstorganisation Rechnung zu tragen und sie nicht zu zerstören. Tatsächlich aber seien heute eher „Schwundstufen“ der Partizipation zu beobachten, bei denen es vor allem darum ginge die Menschen für einem Expertenvorschlag zu gewinnen und sie „mitzunehmen“.  Während oft behauptet würde, die Welt werde immer komplexer, verwies Welzer darauf, dass wir in vielen Städten eine internationale Vereinheitlichung und damit einen Verlust von Differenzerfahrungen und Komplexität beobachten können. Es gebe aber auch positive Beispiele wie Freiburg oder die Transition Town Bewegung, in denen lokale Kulturen und Identitäten positiv besetzt werden als Grundlage für die Herausbildung von Alternativen. Solche Formen des Eigensinns seien, so Welzers Plädoyer, die Grundlage demokratischer Gesellschaften.

Auch die Soziologin Saskia Sassen (Autorin u.a. von „The Global City“ und „Cities in a World Economy“) hat betont, dass es die Komplexität, die Vielfalt und die Unabgeschlossenheit von Städten ist, die Urbanität ausmachen und es auch den Machtlosen erlaubt, Geschichte zu machen. Von diesem „Städtisch-Sein“ (cityness) unterscheidet sie die reine bauliche Verdichtung, die wir heute immer stärker beobachten können und die sie als Formen der De-Urbanisierung kennzeichnet. Ähnlich wie Welzer betonte auch Sassen die Eigenart einzelner Städte, die sich trotz der standardisierenden und vereinheitlichenden Tendenzen von Konsummärkten behaupte. Auch sie betonte, dass wir es sind, die – im guten wie im schlechten –  Städte und Nachbarschaften selber machen.

Sassen ging es vor allem auch um das Aufzeigen der in der Regel unsichtbaren Verlierer globaler Entwicklungsprozesse. In ihrem in diesem Jahr erschienenen Buch „Vertreibung“ (Expulsions: Brutality and Complexity in the Global Economy) zeigt sie die Verbindung auf, die zwischen unterschiedlichen globalen Phänomenen wie ökonomischer Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, der Vertreibung von Menschen und wachsender Umweltzerstörung bestehen. In Winterthur präsentierte sie eindrückliche Zahlen zu solchen oft unsichtbaren Phänomenen, etwa den 90 000 Zwangsräumungen, die jährlich in Deutschland durchgeführt werden. Insbesondere ging sie auf die zunehmende Verwandlung von Böden in eine international gehandelte Ware ein. Der Aufkauf von Boden durch Unternehmen führe in den Städten zur Entwicklung de-urbanisierter Megastrukturen und zu einem völlig disproportionalem Anstieg des Preises für Wohnen. Auch in ländlichen Regionen werde Land verstärkt durch Unternehmen aufgekauft; ein Phänomen das als „landgrabbing“ bekannt ist. Während die Mormonen oder auch H&M in größerem Umfang Land in Europa kaufen, haben in Ländern wie Frankreich die Kinder von Landwirten kaum noch die Chance an Land zu kommen, um es landwirtschaftlich zu nutzen. Seine industrielle Nutzung verwandele von Unternehmen gekauftes Land nicht nur schleichend in „totes Land“, sondern vertreibe auch die Planzen sowie die Menschen von diesem Land und mit ihnen die Kultur und das Wissen um seine Bearbeitung. Diese Prozesse der Verdrängung  hätten insofern einen direkten Bezug zu Städten, als diese Menschen beispielsweise in den Megastädten des Südens in den Slums landen oder besser gesagt verschwinden; denn ihr Wissen und ihre Kulturen haben hier keine Bedeutug mehr. Was wir „Migration“ nennen, sei oft nichts anderes als eine solche „Vetreibung“.