„WACHSEN LASSEN!“ – Die Kampagne


Als im Sommer 2012 die Zukunft des Prinzessinnengartens aufgrund eines drohenden Verkaufs der Fläche durch die Stadt Berlin plötzlich ungewiss war, haben wir die Kampagne „Wachsen lassen!“ ins Leben gerufen. In kurzer Zeit habt Ihr uns mit 30 174 Unterschriften unterstützt und dem Garten eine Zukunft eröffnet.

Mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg haben wir daraufhin einen Nutzungsvertrag bis Ende 2018 abgeschlossen. Die stadtpolitische Arbeit der Kampagne haben wir in der Nachbarschaftsakademie und mit dem Verein common grounds aufgegriffen und arbeiten im Austausch mit anderen stadtpolitischen Initiativen an einer langfristigen gemeinwohlorientierten Nutzung der Fläche am Moritzplatz.

Im August 2012  hiess es aufgrund einer drohenden Veräußerung der stadteigenen Fläche an dieser Stelle noch: „Die Zukunft des Prinzessinnengartens ist ungewiss“. Das Aus schien nahe. Daraufhin aber haben in nur wenigen Wochen über 30 000 Menschen aus Kreuzberg, Berlin und der ganzen Welt unsere Petition für eine Zukunft des Prinzessinnengartens unterstützt und so geholfen, ein Umdenken in der Politik einzuleiten. Vor dem Hintergrund einer stadtweiten Diskussion über den meistbietenden Verkauf öffentlicher Grundstücke ging es uns nicht allein um die Sicherung des Gartens, sondern allgemein um Freiräume für soziales und ökologisches Engagement. Um solche Fragen öffentlich zu diskutieren, haben wir unter anderem zu einem offenen Gesprächsabend im Prinzessinnengarten eingeladen.

Schnell wurde die Geschichte des beliebten, aber gleichzeitig bedrohten Gartens auch in den Medien aufgegriffen. Das ZDF-heute-Journal berichtete zur besten Sendezeit über den Garten in Berlin-Kreuzberg. Die Süddeutsche Zeitung nahm die gefährdete Situation des Prinzessinnengartens zum Anlaß, die Politik des höchsten Gebots im Umgang mit öffentlichen Liegenschaften generell in Zweifel zu ziehen.

Nicht jede Brache muss zubetoniert werden, auch Freiflächenprojekte können einen Mehrwert schaffen … Was Berlin in Zukunft sein will, wird auch in der Liegenschaftspolitik entschieden. Die Stadt sollte sich dabei auf ihre Stärken konzentrieren und die liegen nicht in hochpreisigen Büroflächen oder homogenen Wohnbezirken. Vorbilder und Ideen sind da. Nun braucht es eine politische Entscheidung und zwar schnell. Der Ausverkauf von Berlin muss endlich aufhören.

Aufgrund der breiten Unterstützung der Menschen vor Ort, der Öffentlichkeit und  von Seiten des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg haben schließlich der Berliner Senat und das Abgeordnetenhaus die geplante Privatisierung zurückgezogen und die „Pilotfunktionen“ des Gartens anerkannt. Mit dieser Entscheidung verbunden war eine Rückübertragung der Fläche am Moritzplatz vom Berliner Liegenschaftsfonds an den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Ein weiterer Verbleib der Prinzessinnengärten dem Moritzplatz wurde so ermöglicht und damit eine Fortsetzung  der nachbarschaftsorientierten Bildungs- und Beteiligungsarbeit.  Unter dem Titel Gentrifizierung von unten zog das art-Magazin eine erste Bilanz:

“Dass die Gemeinschaft um den Moritzplatz höchst wach ist, merkte 2012 vor allem der Berliner Liegenschaftsfonds. Er wollte das Grundstück, auf dem die Prinzessinengärten seit 2008 ihre mobilen Beete angelegt haben, meistbietend verkaufen … Doch mit über 30 000 Unterschriften … setzten die Gartenfreunde durch, dass das Grundstück dem Bezirk Kreuzberg rückübertragen wird … Für Berlin und Deutschland ist dies eines der herausragenden Beispiele, wo die Interessen von Anliegern, Mietern und der Kommune sich gegen Investoren durchgesetzt haben

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  • Mark Terkessidis: Kollaboration (Suhrkamp 2015)

Mark Terkessidis beschreibt in seinem Buch “Kollaboration” anhand von Beispielen aus Keuzberg wie dem Mediaspree-Projekt, dem Flüchtlingscamp am Oranienplatz, Cuvry-Brache und Görlitzer Park Konflikte zwischen einer weltabgewandten Bürokratie, architektonischen Leuchttürmen und der Jagd nach Investoren auf der einen, Menschen und Initiativen auf der anderen Seite. Selbst aus Sicht einer ökonomischen Standortpolitik würden Planungen oft keinen Sinn machen, da es gerade die “kulturelle Vielfalt und Unvollkommenheit” Berlins sei, die so viele Menschen nach Berlin zieht. “Je homogener die Stadt in Zukunft wird, desto weniger wird sie für Besucher noch von Interesse sein. Ein ähnliches Unverständniszeigt sich im Umgang mit den Prinzessinnengärten am Moritzplatz in Kreuzberg (…) Die Gärten ziehen Personen aus aller Welt an, die sich über die Arbeitsweise der Macher informieren möchten. Dennoch wollte der Senat das Gelände 2012 verkaufen. Diese Entscheidung wurde nach einer diesmal weltweiten Protestwelle revidiert, aber der endgültige Ausgang bleibt ungewiss.” In Bezug auf das Tempelhofer Feld heisst es, Berlin habe in den letzten Jahren seinen Reiz “genau aus dieser Art von Plattformen bezogen, Freiflächen, antirepräsentative Räume, die von den Bewohnern und den Besuchern gleichermaßen zur Nutzung erschlossen wurden”. Die Zustimmung von 65 % der WählerInnen zur 100%-Tempelhof-Forderung interpretiert Terkessidis als Wahl der Leere: “die Berliner optierten für einen Ort, der ihnen möglichst viel individuellen Gestaltungsraum lässt, und stimmten gegen eine undurchsichtige und realitätsferne Planung, die den komplizierten Verhältnissen in der Parapolis nicht gerecht wird. Und sie wandten sich gegen eine Form der Partizipation, die darin besteht, die Leute längst beschlossene Masterpläne abnicken zu lassen.”

 

The power of capital, the gentrifying flood of new cash drawn to Berlin’s cool image, is what threatens to alter the precious, inclusive social fabric of the city … Only by integration and participation, by a version of intimacy, can the modern city hope to be a humane one. You hear that message from all corners. Since 2009 Marco Clausen, a social historian, and Robert Shaw, a filmmaker, have run a community garden called the Prinzessinengärten right in the middle of urban Berlin, on the site of a large, Jewish-owned department store that was bombed in the war and never rebuilt. If people suggest that the 1.5-acre garden is not very productive in terms of food, Clausen has an answer: “No. What we produce is social exchange. What we produce is a neighborhood.” The garden is, he says, “a symbol of a lot of the things that people desire … What will this city look like in the future,” Clausen asks, “if we just go on selling to the highest bidder? The city is not made by its planners and architects; it is made by its culture and everyday connections.” That’s a powerful vision of what a good city might be: Don’t let money or power dominate, don’t let property drive out humanity.

 

“In 2002, Berlin had no community gardens to speak of, but by 2013, with over 100 (nearly all of which now have waiting lists), we had arguably become the world capital of urban gardening. Allotment gardens – small plots leased to individuals or groups – are also making a comeback … While gardens juggle short-term leases, Berlin’s city government earns bags of filthy lucre from selling off public land and writes press releases that bask in the reflected glory of citizen initiatives …  Its “City of Green Trends” web page touts the good news of organic markets and supermarkets, community gardens and the “desire to preserve and expand green oases” as if it were something to do with their own good work. Tell that to those whose allotment gardens in Treptow were destroyed to make way for the A100 autobahn extension, or those who in 2012-13 had to run an extensive ‘Let it grow!’ crowdfunding and petition campaign to win a five-year reprieve for Kreuzberg’s beloved Prinzessinnengarten.”

 

“Der Prinzessinnengarten ist genau das, was ein Berliner Paradies ausmachen sollte: improvisierte Idylle …. Orte wie dieser (sind) die ‘Identität Berlins’. Doch solche Liegenschaften gehören auch zu den wenigen Dingen, die das Land Berlin versilbern kann … Auch der Prinzessinnengarten stand schon mal der Verkauf des Grundstücks bevor. Die Betreiber haben dann zu einem Protest aufgerufen, ‘Wachsen lassen’, hieß die Parole. Der Bezirk gab ihnen schließlich einen Mietvertrag, er läuft bis 2018.”

 

Zwischen Schülergruppen aus Kreuzberg stehen Touristen und internationale Studenten, die die “aufregendsten Alternativgärten der Welt” studieren … Inzwischen kämpfen die Prinzessinnengärtner denselben Kampf wie die Kleingarten-Kolonisten. Sie wehren sich gegen den Verkauf. 30.000 Menschen haben im Internet dafür 2012 unterschrieben. Sie trieb die Erkenntnis, dass Menschen und ihre Gärten auch im übertragenen Sinne Wurzeln schlagen können. Und dass diese tiefer reichen als manches, was in Beeten wächst.

 

“Zum Jahresende erfüllt auch die Politik Wünsche. Nicht alle, aber einige, die wichtig sind für die Stadt: Endlich hat man auch im Senat erkannt, dass nicht alle Grundstücke an Investoren verschleudert werden müssen. Dass es manchmal besser ist, auf Verkaufserlöse zu verzichten, stattdessen etwas zu tun fürs Image der Stadt als kreative Metropole und für die Zufriedenheit ihrer Bürger. Diese Erkenntnis eröffnet jetzt zwei Projekten der Subkultur eine Perspektive. Der Prinzessinnengarten am Moritzplatz in Kreuzberg muss keinem Büro- und Hotelneubau weichen. Sogar Senatoren waren bei Besuchen beeindruckt, was dort so alles geschieht. Das wilde Gemeinschaftsgärtnern, das es so wohl in keiner anderen Großstadt gibt, kann also weitergehen”.