Die Welt im Kleinen retten

Auf Deutschlandradio Kultur erzählt Daniel Schreiber von „Gärten und ihren Utopien„. Mit dem Autoren Karl Čapek, der in den 20er Jahren anfing in Prag einen Garten in Prag anfing zu bearbeiten und seine Erfahrungen später in „Das Jahr des Gärtners“ festhielt, spricht Schreiber vom Gärtner als Verkörperung des „idealen Menschentypus – der Menschen, der von Sorge für seine Umwelt bestimmt ist, der Menschen, dem wir unsere Zukunft anvertrauen müssen.“ Vorgestellt werden historische Gärten wie der Küchengarten von Versailles und Karl Foersters Potsdamer Staudengarten, und es wird nach den Motiven der neuen Generation urbaner Gärtnern gefragt:

„Das gängige Vorurteil erkennt darin vor allem ein neobürgerliches Rückzugsbedürfnis, das Ergebnis einer Flucht vor dem Leben, das immer schneller, virtueller und unsicherer wird. Oft wird dem Gärtner nachgesagt, der Welt den Rücken zuzudrehen … Gemeinschaften junger, wilder Gärtner erobern sich heute mit Hilfe von Nachbarn und Freunden unwirtliche Brachflächen in den Großstädten und bauen lokal und ökologisch Obst, Gemüse, Gewürzkräuter und Blumen an. Dafür verwenden sie alles, was in der Industriegesellschaft ausgedient hat: Umgebaute Überseecontainer dienen als Lagerräume. Aus Europaletten und Frischhaltefolie werden Gewächshäuser gebaut. Lebensmittelkisten, Reissäcke und Milchkartons werden als Pflanzbehälter benutzt.

Urban gardening wird diese Bewegung oft genannt. In unterschiedlichen Ausprägungen lässt sie sich von Havanna bis nach New York und Detroit beobachten, von Stockholm bis nach Bern und Kopenhagen.

Grundsätzliche Fragen – gespiegelt in der Gartenarbeit

In Deutschland bildet der Prinzessinnengarten in Berlin-Kreuzberg die Speerspitze dieser Bewegung. Das viel beachtete Gemeinschaftsprojekt wurde 2009 von Marco Clausen und Robert Shaw gegründet. Beide Männer waren selbsterklärte Gartendilettanten mit der Bereitschaft, etwas über den Anbau von Pflanzen zu lernen und mit anderen Berlinern auf unkonventionelle Weise zusammenzuarbeiten.

Heute ist der Prinzessinnengarten mit seinem Café, Vorträgen, Workshops und Führungen zum Zentrum der Nachbarschaft um den Kreuzberger Moritzplatz geworden, einem der Berliner Wohngebiete mit der höchsten Arbeitslosigkeit und der größten Kinderarmut. Jede Saison machen sich hier Tausende Helfer die Hände schmutzig, säen Gemüse aus, pflegen und ernten es. Und überall in Deutschland hat das Konzept des Prinzessinnengartens Nachahmer gefunden.

Vielleicht sind Gärten wie der Prinzessinnengarten so erfolgreich, weil sie unaufdringlich eine der drängendsten Fragen unserer Zeit aufwerfen: Wie wir in Zukunft in unseren Städten leben wollen. Expliziter als die meisten ihrer historischen Vorgänger sind sie Vehikel politischer Prozesse. Die gelebte Erfahrung des Gärtnerns bringt hier automatisch Themen wie Biodiversität, Recycling, Umweltgerechtigkeit und Ernährungssouveränität in den Blick.

Marco Clausen, Mitbegründer des Prinzessinnengartens, sieht darin die eigentliche Aufgabe des Projekts:

„Also Nahrungsmittelsouveränität ist eine globale Herausforderung, der wir uns stellen müssen, auch in den Städten, weil die Städte nun mal die Orte sind, wo am meisten Ressourcen konsumiert werden. Dasselbe gilt für Biodiversität, also die biologische Vielfalt und vor allen Dingen unser Erbe an Nutzpflanzen, das unter veränderten Umweltbedingungen – Stichwort: Klimawandel – eine sehr wichtige Rolle spielen wird.

Oder die Endlichkeit von Ressourcen, von denen unser Leben abhängt, wie halt fruchtbare Böden. Urbane Gärten werden diese Probleme nicht lösen, aber ich glaube, sie sind wichtige Orte, um sie sichtbar zu machen und einen sehr praktischen Zugang dazu geben.“

Der Hauptfokus des Prinzessinnengartens liegt auf der Düngemittel- und Pestizidfreien Kultivierung von Nutzpflanzensorten, die von der heutigen industriellen Landwirtschaft nicht mehr angebaut werden. Altertümlich aussehende Tomaten findet man hier, Kartoffeln in allen Größen und Farben, verschiedene Bohnen-, Erbsen- und Zucchinisorten, Sauerampfer, Minze und Pimpinelle.

Alternativen zur Konsummentalität

Für viele der Mitmachenden reicht das Gärtnern über die Freude, etwas Selbstangebautes aus der Erde zu ziehen, weit hinaus. Vielmehr finden sie hier eine Alternative zur alles bestimmenden Konsummentalität unserer Tage. Erst wer selbst zur Gießkanne greift, erkennt, welcher ökologische Aufwand nötig ist, um saisonales Gemüse ganzjährig in genormten, glatten Formen anzubieten, versteht, wie viele Pestizide, wie viel Erdöl, wie viel Treibhausgase nötig sind, um unseren Lebensmittelkonsum zu befriedigen.

„Also, es ist ja oft die Rede davon, dass in diesen Gärten andere Gesellschaftsentwürfe ausprobiert werden. Das ist insofern nicht utopisch, weil soweit ich es in Erinnerung habe, ist der U-Topos der Nicht-Ort, den es nicht gibt. In den Gärten, über die wir reden, sind das ja Orte, die es gibt und sie sind physisch da und sie erlauben, dass man schon mal etwas macht. Und das ist, glaube ich, die Stärke dieser Orte. Und das, was man da macht, hat schon was mit den Umbrüchen in dieser Welt zu tun. Mit all den Krisen, denen wir hinterherlaufen, die laufend ihren Namen ändern. Was sich ja auch auswirkt auf unser Weltverhältnis und unser Bedürfnis vielleicht auch, Alternativen zu entdecken.

Weil wir uns ja eigentlich laufend Prozessen ausgesetzt sehen, die größer sind als wir selber, die wir nicht mehr beeinflussen können, die wahnsinnig komplex sind, wo es dann immer heißt, dort herrschen Sachzwänge und es gibt keine Entscheidungsalternativen. Und gerade im Bereich Lebensmittel ist es halt sehr existenziell, glaube ich, von so komplexen Systemen abhängig zu sein, bei denen man das Gefühl hat, sie tun weder uns selber, noch unserem Zusammenleben, noch unserem Planeten gut. „