Ernte Undank

Ein Beitrag im Freitag zum Thema urbane Gärten, Gentrifizierung und Zwischennutzung und die Aneignung des Themas durch Immobilienentwicklern und Energieunternehmen. Hier ein Auszug:

Hübsch mir mal die Brache auf

Seit der Finanzkrise sind die Grundstückspreise in Berlin explodiert – in manchen Vierteln haben sie sich verzehnfacht. „Der Moritzplatz gehört heute mit einem Grundstückspreis von 5.000 Euro pro Quadratmeter zu den teuersten Flächen Berlins“, sagt Marco Clausen, der den Prinzessinnengarten vor zehn Jahren mit Robert Shaw gründete. Während seither auf der 5.800 Quadratmeter großen Fläche 500 verschiedene Gemüse- und Kräutersorten in Hochbeeten, Bäckerkisten und Reissäcken wuchsen und eine grüne Oase mitten in der Stadt gedieh, habe sich der Grundstückspreis dort mehr als vervierfacht. „Aber das war damals überhaupt nicht abzusehen“, sagt der 45-Jährige, „die Gegend war in keinster Weise gentrifizierungsverdächtig. Es gibt hier keine schönen Altbauten, sondern 60er-Jahre-Architektur, drumherum lag vor allem Gewerbe, niemand hat sich für die Gegend interessiert.“ Und mittendrin die Industriebrache, die seit 60 Jahren vor sich hin verwahrloste. Bevor die ersten Beete bepflanzt werden konnten, mussten zwei Tonnen Müll weggeräumt werden – alte Matratzen, Reifen, Kühlschränke, Fernseher, Autobatterien.

„In den folgenden drei Jahren hat sich dann alles verändert“, sagt Clausen. Direkt neben dem Prinzessinnengarten entstand das Aufbauhaus, mit Kreativindustrie und entsprechender Gastronomie. Schon 2012 stand der Prinzessinnengarten zur Disposition, das städtische Gelände sollte an einen Immobilieninvestor verkauft werden. Den Pachtvertrag über insgesamt drei Jahre hatte der Prinzessinnengarten mit dem Berliner Liegenschaftsfonds, einer stadteigenen Immobilienfirma, abgeschlossen. Damals gelang es, den Verkauf zu verhindern. 30.000 Menschen hatten die Protestaktion „Wachsen lassen!“ unterschrieben. Doch das verschaffte dem Prinzessinnengarten nur einen Aufschub.

Fast alle Urban-Gardening-Projekte haben nur Verträge zur Zwischennutzung. Genau darin sieht Clausen teilweise Kalkül: „Die Zwischennutzung wird ganz bewusst zur Aufwertung eingesetzt.“ Schließlich bestand der Auftrag des Liegenschaftsfonds darin, Flächen und Gebäude in kommunalem Besitz meistbietend auf internationalen Messen zu verkaufen. „Und vermüllte Brachen oder eine verwahrloste Umgebung sind da nicht besonders attraktiv.“

Mittlerweile haben die Immobilienkonzerne Zwischennutzungen sogar selbst als Mittel zum Marketing und zur Aufwertung entdeckt. Vor dem Abriss der Robben-&-Wientjes-Gebäude an der Prinzenstraße inszeniert die Immobilienfirma Pandion diese als „Off-Location“ für Kunstschaffende und Partys. Vergangenes Jahr stellten dort die Nominierten des „Berlin Art Prize“ aus, ebenso Studierende der Kunsthochschule Weißensee – gegen heftigen Protest. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Pandion via Zwischennutzung als Kulturförderer präsentiert: Mit dem Projekt „The Haus“ in Charlottenburg ließ das Unternehmen einen Bürokomplex zum Street-Art-Museum umgestalten. Heute entstehen dort Luxuswohnungen. Clausen fürchtet, dass der Bürokomplex The Shelf die Wohnungs- und Gewerbemieten explodieren lassen und Bodenpreise nach oben treiben wird.

„Die Eigentumsform hat sich derart verändert, dass es kaum mehr möglich ist, alternative Projekte, die für eine sozial und ökologisch gerechte Stadt jenseits von Wachstumswahn und Profit stehen, auf die Beine zu stellen, ohne dass die zur Waregemacht werden“, kritisiert Clausen. Das Garten-Kollektiv, zu dem auch das Allmende-Kontor und der Prinzessinnengarten gehören, reagierte auf Versuche der Vereinnahmung mit einem „Urban Gardening Manifest“. Darin verweist es auf die Bedeutung frei zugänglicher Räume sowie auf die soziale und ökologische Bedeutung der Gärten. Die wichtigste Forderung jedoch ist, Gemeinschaftsgärten dauerhaft anzuerkennen und sie ins Bau- und Planungsrecht zu integrieren. Mit anderen Worten: ein Ende der Zwischennutzung, stattdessen langfristige Pachtverträge.

Mit seinem Verein Common Grounds kämpft Clausen also weiter für den Erhalt des Prinzessinnengartens am Moritzplatz. „Man kann Beete umziehen – aber nicht die Menschen, die hier leben“, so das Motto. Das Ziel: ein Pachtvertrag auf 99 Jahre. „Dafür müsste man aber auch das Narrativ ändern“, sagt er. Denn obwohl viele Urban-Gardening-Projekte explizit politisch sind, haben sie den Ruf, Touristenziel für eine Öko-Konsum-Elite zu sein, und Rückzugsorte für Besserverdienende, die da in Ruhe gärtnern. Aus diesem Blickwinkel erscheinen urbane Gärten dann als nette Projekte, die wegmüssen, wenn „was Wichtiges“ dahin soll. Zum Beispiel Wohnungen. Die banale Antwort „Bauen, bauen, bauen“ auf die Wohnungskrise würde dann zur weiteren Gefahr für die Gärten.

„Wir gehörten damals zu den wenigen, die sagten, dass kein öffentliches Eigentum verkauft werden darf“, erinnert sich Prinzessinnengarten-Gründer Clausen, „damals wurden wir noch als Spinner verlacht.“ Sieben Jahre später findet die Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen enteignen“ großen Zulauf, die Debatte um das Recht auf Stadt zieht weite Kreise. Die Fahrraddemo „Critical Mass“ hat Nachahmer in vielen Städten. Die Proteste im Hambacher Forst finden gesellschaftliche Anerkennung, Bewegungen wie „Wir haben es satt!“ gegen die industrielle Landwirtschaft, „Fridays for Future“ und „Extinction Rebellion“ gewinnen an Zulauf.

All diese Themen treffen sich in solchen Gartenprojekten, wo nicht nur ökologisch angebaut wird, sondern auch Formen des Postwachstums, der Gemeingüter, der Ernährungsunabhängigkeit, der Artenvielfalt, des Rechts auf Stadt und der emanzipatorischen Aneignung von städtischen Räumen erprobt werden.

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