Urbane Gärten: „Nischenanliegen“ oder soziale Bewegung

Kürzlich veröffentlichte der Autor Max Scharnigg in der Süddeutschen unter dem Titel „Grüner wird’s nicht“ eine Polemik gegen das „Nieschenanliegen“ urban Gardening. Dem Bauen und der Verdichtung das Wort redend, spricht Scharnigg über „betreutes Gärtnern für die herumstümpernde Ökoschicht.“ Es handele sich um „Spielplätze für wenige.“ Christa Müller, Geschäftsführerin der anstiftung, betont in ihrer Erwiderung „Grüne Revolution“ in der Frankfurter Rundschau“Gärtnern in der Stadt ist hochpolitisch. Wer die Bewegung verniedlicht, versperrt sich selbst den Blick auf den gesellschaftlichen Wandel.“ Sie verweist dabei unter anderem auf das von 120 Initiativen unterzeichnete Urban Gardening Manifest.

Weiter heisst es:

Wenn man den Erfolg einer Bewegung an der Zahl ihrer Gegenredner messen will, hat es die Urban-Gardening-Bewegung in den wenigen Jahren ihres Bestehens schon weit gebracht. Diesmal ist es Max Scharnigg, der in der „Süddeutschen Zeitung“ in zweifellos brillantem Stil über die Annektierung von Abstandsgrün durch allseits verhasste Latte-Macchiato-Mütter herzieht, die vor ihrer Haustür Ringelblumen pflanzen, was der Autor ebenso lächerlich findet wie den Tomatenanbau auf dem Balkon. Wer Landlust verspürt, soll aufs Land gehen, meint er, die Stadt ist versiegelt, vergiftet, zugeparkt. Basta.

Die feuilletonistisch durchgestylten Kontrapositionen zu einem Phänomen, das die Autoren nur vom Hörensagen kennen, übersehen dabei eins: Urban Gardening heißt gerade nicht Annektierung für private Nutzung, sondern freier Grünzugang für alle. Ungeachtet der zu Recht kritisierten Neobiedermeier, die ihre Werkzeuge distinktiv dort kaufen, „wo es sie noch gibt, die guten Dinge“: Fakt ist, dass die fast 500 urbanen Gemeinschaftsgärten im Bundesgebiet zu den wenigen Orten in der gentrifizierten Stadt gehören, an denen sich Menschen unterschiedlicher Sozialmilieus im öffentlichen Raum begegnen – und diesen mitgestalten. Damit sind Gärten innovative Beiträge zu einer Neuorganisation des Zusammenlebens in einer zunehmend auf Milieuabgrenzung setzenden Stadtgesellschaft, die immense Risiken produziert. Hierin liegt ihre Sinnressource, nicht in der durch den Autoverkehr bleibelasteten Karotte.

Unter dem Titel „Die Stadt ist unser Garten“ haben Gemeinschaftsgärten ein Manifest veröffentlicht. Der markante Appell ist Ausdruck einer kollektiven Bewegung, die mit neuen Impulsen für die Zukunft der Städte auf sich aufmerksam macht. Das Manifest betont, wie wichtig ein frei zugänglicher öffentlicher Raum ohne Konsumzwang für eine demokratische Stadtgesellschaft ist. Es lässt keinen Zweifel daran, dass Urban Gardening mehr ist als die individuelle Suche nach einem hübsch gestalteten Rückzugsort.

Mit dem gemeinschaftlichen Gärtnern formieren sich kollektive Formen, die als Teil einer erstarkenden Commonsbewegung in unseren Städten gelten dürfen. Wer das hier enthaltene politische Potenzial verniedlicht, versperrt sich selbst den Blick auf den gesellschaftlichen Wandel, der längst im Gange ist.

Siehe auch: Christa Müller, Urbanität neu denken, Franbkfurter Rundschau vom 11.3.2015