In Belgrad haben der serbische Staat und ein Investor aus den Vereinigten Arabischen Emiraten damit begonnen, eines der größten Bauprojekte Europas umzusetzen. Das Saveufer in Savamala wurde dafür dem Erdboden gleich gemacht. Das ganze Ufer? Eine Ente und ein Pensionär schauen nicht tatenlos zu. Kurzer Bericht über einen Besuch bei unseren Freunden von Ne Da(vi)mo Beograd und einer ungewöhnlichen Begegnung in einem unwahrscheinlichen Garten.
Das Haus von Ivan Timotijevic und seiner Familie
Im Herzen Belgrads, am Ufer der Save, klafft über mehrere Kilometer ein großes Loch. Eine Fläche von fast 200 Hektar wurde hier kürzlich von schwerem Baugerät für eines der größten Bauprojekte des Kontinents freigeräumt. Zwischen Abraumhalden, Baufahrzeugen, Absperrgittern und zwei zwanzigstöckigen Rohbauten steht verloren ein kleines Häuschen. Davor ein Garten, in dem Pfirsichbäumen, Tomaten und Rosen wachsen. Hier lebt Ivan Timotijevic mit seiner Familie. Sein Haus ist die letztere Erinnerung daran, dass auf dem ehemaligen Eisenbahngelände vor kurzem noch 227 Familien gelebt haben. Alle anderen Familien sind in den letzten Jahren umgesiedelt worden. Ihre Häuser wurden dem Erdboden gleichgemacht.
Der alte Mann und der arabische Großinvestor
Ivan scheint das nicht zu beeindrucken. Er steht an seinem Gartentor und plauscht mit einer Gruppe vorbeigehender Bauarbeitern. Auf Deutsch bittet er uns auf einen Kaffee herein. Vor 40 Jahren, erzählt er uns, hat er im Raum Frankfurt als Mechaniker gearbeitet. Jetzt, im Alter von 68 Jahren will er nicht noch einmal entwurzelt werden. Er zeigt uns den Ort, wo seine Bienen waren, bevor sie durch den Lärm der Baumaschinen vertrieben wurden. In seinem karg eingerichteten Wohnzimmer bietet er uns die letzten Stücke des würzigen Wagenhonigs an. Stolz holt er eine Honigpresse hervor, die er noch aus Deutschland im Gegenwert von zwei Monatsgehältern erworben hatte. Verlöre er das Haus, so Ivan, dann stünde er vor dem Nichts. Statt wie seine Nachbarn dem vermeintlichen unabänderlichen Fortschritt zu weichen, befindet er sich seit fast drei Jahren in einem Rechtsstreit, um seinen Eigentumstitel an dem Grundstück zu belegen. Wie viele andere Objekte im ehemaligen Jugoslawien sind im Zuge eines wilden Privatisierungsprozesses Eigentumsfragen oft ungeklärt. Ivans Nachbarn haben einen hohen Preis gezahlt. Vor eine scheinbar aussichtslose Wahl gestellt, haben sie sich mit dem Umzug in Wohnungen mit begrenzten Mietverträgen abgefunden.
Auf dem 177 Hektar großen ehemaligen Eisenbahngelände soll ein gigantischen Stadtentwicklungsprogramm entstehen. Unzähligen Plakatwänden und ein Infcontainern werben mit glänzenden Neubauten, glücklichen Familien und edlen Wohnungen für das Projekt. Um es umzusetzen, sollen in den nächsten 15 Jahren knapp 3 Milliarden Euro investiert werden.
Showroom von „Waterfront Belgrade“
Vorangetrieben wird das Großprojekt von einem Konsortium aus serbischem Staat und einem Investor aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Eagle Hill. Sein repräsentatives Hauptquartier hat der Investor im Stadtteil Savamala in einem aufwendig wiederhergerichteten Bankgebäude errichtet. Hier befand sich zeitweise auch der Sitz der Gestapo in Belgrad. Heute zeigen junge Frauen in gebügelten Uniformen uns ein zwei mal fünf Meter großes Modell der „Belgrade Waterfront“. Das aufwendige und überdimensionierte Modell zeigt die Vision einer neuen Stadt, die aus einer Million Quadratmeter luxuriösem Wohnen, Fünf-Sterne-Hotels, dem höchsten Bauwerks auf dem Balkan, der größten Shopping-Mall Europas und einer Oper besteht.
Die gelbe Ente: Lasst Belgrad nicht absaufen
Aktion von Ne Davimo Beograd auf der Save. Bild: nedavimobeograd.wordpress.com
(mehr …)